Noch mehr Kasperltheater
Mir schwirrt noch immer der Kopf vom gestrigen Tag. Was da nicht alles aufgefahren wurde von morgens bis abends von der Gegenseite. Sogenannter Stresstest, ein erweiterter Stresstest, ein Friedensangebot. Moratorium? Kein Moratorium. Baustopp? Kein Baustopp.
Gegen elf Uhr kam ich am Marktplatz an, hörte und schaute mir zusammen mit vielen ParkschützerInnen über Public Viewing an, wie sie oben im Rathaus stundenlang erklärten, stritten. Wie von Seiten der Projektbefürworter versucht wurde, abzulenken, kleinzureden, auszuweichen. Wie ein Heiner Geißler wie letztes Jahr bei der Schlichtung erneut etliche Male den unsäglichen Satz von sich gab: Das versteht da draussen niemand, wir müssen das so erklären, dass das Volk da draussen es auch versteht, nicht wahr! Wie ein Herr Keefer dauergrinste, Herr Bräuchle (was hatte der eigentlich schon wieder da drin verloren?) unseren Blutdruck zum Steigen brachte, Herr Hauk von der CDU (zu Recht die Nachfrage von Hannes Rockenbauch, ob dieser Sonderrechte habe, da in der Opposition und trotzdem dabei - dies wurde aber von Herrn Geißler sofort niedergeschmettert) versuchte, Boris Palmer bei seinem Vortrag durcheinander zu bringen und von den Fakten abzulenken. Wir standen unten, es war ein ständiges Kommen und Gehen unserer Leute (von wegen nur 2000 ParkschützerInnen laut Presse, das waren über den Tag verteilt wesentlich mehr) und pfiffen ihnen was. Es war oben gut zu hören, denn Herr Geißler beschwerte sich hin und wieder darüber. Ganz deutlich kam aber auch erneut bei uns an, dass er auf Seiten der Befürworter steht. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass wir ZuschauerInnen eines wilden Possenspiels waren.
Eindrücklich war das Ende der Verhandlungen, als das Bündnis abbrach und den Raum verließ und Herr Geißler seinen glänzenden Auftritt den Bach hinunterschwimmen sah oder als er doch noch abschließend stolz das Friedensangebot eines Kopf-/Tiefbahnhofs aus dem Ärmel ziehen durfte, das er mit SMA ausgearbeitet hatte. Selbst Herrn Keefer verging in dem Augenblick das Grinsen. Absolute Premiere. Entsprechend laut waren auch unsere Reaktionen auf all diese Ereignisse.
Die Presse war zahlreich vertreten, vermutlich nicht nur wegen dem Sommerloch, das um diese Jahreszeit ausgiebig gähnt und somit gibt es natürlich auch einiges zu lesen und zu sehen, nicht zuletzt auch wieder Fotos.
Das Ganze ist anzuschauen bei Flügel-TV link
und beim SWR: link
sowie bei der Tagesschau link
Eine Karikatur der Taz bringt es auf den Punkt: link
Die Süddeutsche: Stuttgart 21 - das dümmste Großprojekt. link
Das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 dürfte kaum mehr zu stoppen sein, auch wenn in dem monatelangen Drama um die Proteste einige Fakten untergegangen sind, die allesamt gegen den Bau sprechen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Verantwortlichen vor allem aus Rechthaberei an dem Großprojekt festhalten wollen.
SWR - Geißler schlägt überraschend Kombilösung vor link
Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler hat überraschend einen weitreichenden Kompromiss im Streit um den Tiefbahnhof vorgeschlagen. Geißler regte im Stuttgarter Rathaus an, den Fernverkehr über die geplante Durchgangsstation und den Nahverkehr über einen verkleinerten Kopfbahnhof laufen zu lassen.
FR-Online: Der Schlichter als Planer link
Stuttgart –
Heiner Geißler hatte es schon am Morgen geahnt: „Ich glaube nicht, dass man da einen Schlussstrich ziehen kann“, sagte der Schlichter im Streit um den geplanten Stuttgart 21, bevor er am Freitag die Befürworter und Gegner des Milliardenprojekts wieder in seiner aus dem Herbst bekannten Tafelrunde im Rathaus der Stadt versammelte.
Tafelrunde? Fehlt nur noch, dass er sich als König Artus sieht. Auf wen er dann wohl die Rollen von Parzival, Galahad und Lanzelot verteilt? Ich ahne es fast.
Der Freitag: Stresstest für die Demokratie link
Die Rede von Winfried Wolf, Verkehrsexperte bei Abriss Aufstand link
Es gibt eine Doppelformel die die Schlichtung im November und die Stresstest-Präsentation heute für den S21-Widerstand so kompliziert macht. Und die Ursache für Irritationen und jüngere Zick-Zacks ist. Diese Doppelformel lautet:
- Heiner Geißler wird als ehrlicher Makler präsentiert. Er ist aber Teil der Betonpartei.
- Heiner Geißler behauptet, bei den von ihm moderierten Debatten kämen alle „Fakten auf den Tisch.“ In Wirklichkeit wurde durch ihn die Debatte um Stuttgart 21 extrem verflacht und auf das Thema Effizienz reduziert. Und am Ende wird noch bei der Effizienz manipuliert.
Spiegel - Geißlers Paukenschlag setzt Freund und Feind unter Zugzwang
Fauler Kompromiss oder echte Alternative? Als es bei der Stresstest-Präsentation immer hitziger wird, spielt Schlichter Geißler seinen Joker aus: Eine Mischung aus Kopf- und Tiefbahnhof soll das S-21-Projekt ersetzen. Das setzt die Konfliktparteien unter Druck - obwohl zunächst beide auf stur stellen.
Natürlich nicht zu vergessen der Paukenschlag höchstpersönlich - Geißlers sogenanntes "Friedensangebot" link
Wenn ich es richtig sehe - allerdings habe ich es nur kurz überflogen - bedeutet das, dass er einen Tiefbahnhof mit vier Gleisen bauen lassen und oben im Kopfbahnhof zehn Gleise belassen möchte. Das bedeutet aber auch, dass ein Teil des Schlossgartens trotzdem dem Untergang geweiht wäre, der Südflügel aber vielleicht! stehen bleiben könnte. Die Risiken Geologie und die Gefahr für die Mineralquellen blieben dann aber. Die berechtigte Kritik am Stresstest ging in der Gesamt-Überraschung unter und die Bahn will umgehend weiterbauen. Das war wohl so gewollt. Ganz nebenbei würde ich diesen Friedensvorschlag durchaus als weiteren Spaltungsversuch sehen.
Eine interessante Stellungnahme von Christoph Strecker möchte ich noch einstellen. Punkt 4 - Hokus Pokus Fidibus - sehr lesenswert.
1. Den ich rief, den Geißler, werd' ich nun nicht los!
Im großen Erschrecken über die Eskalation des Konflikts durch den brutalen Einsatz der Polizei am 30. September 2010 suchten Befürworter und Gegner des Projekts „Stuttgart 21“ das Gespräch miteinander unter der Leitung von Heiner Geißler. Seine Aufgabe war es, das Gespräch zwischen den Trägern und Gegnern des Projekts zu moderieren. Er hat auch durchaus verdienstvoll die Faktenklärung moderiert, mit der Einschränkung, dass keineswegs – wie von den Gegnern erhofft und von der Bahn angekündigt – „alle Fakten auf den Tisch“ kamen.
Obwohl es nicht Geißlers Auftrag war, den Konflikt zu entscheiden, wurde am Ende der Gespräche von ihm eine Meinungsäußerung erwartet, zu der er sich auch hinreißen ließ. Seither geistern seine Empfehlungen als „Schlichterspruch“ durch die Welt. Befürworter und Gegner des Tiefbahnhofsprojekts werden nicht müde, zu betonen, dass sie sich dem Spruch fügen werden.
Spätestens seit Geißler am 4. Juli 2011 in Tübingen bei einer Podiumsdiskussion sagen konnte, der Bahnhof werde sowieso gebaut, wird es höchste Zeit, uns von ihm zu emanzipieren. Wenn Geißlers Mitwirkung über die zeitweilige Deeskalation hinaus nicht geeignet war, nachhaltig Frieden zu schaffen, dann sind wir wieder dort, wo die Bürgerinnen und Bürger von Wyhl und Wackersdorf waren, ehe sie die dortigen Projekte durch ihren beherzten und friedlichen Widerstand zum Scheitern brachten. Dann mag die Polizei in Stuttgart eben die 17 Kilometer Wasserrohre bewachen, weil sie ja nie sicher sein kann, ob nicht doch jemand mit einem Akkubohrer unterwegs ist.
Was wir von Heiner Geißler bekommen haben, ist kein Spruch – es sind nur Sprüche!
Es wird nur so getan, als ob die Gespräche zu einem Ergebnis geführt hätten.
2. „Er hat ja gar nichts an!“
In Andersens Märchen Des Kaisers neue Kleider musste erst ein Kind mit seinem gesunden Menschenverstand kommen, um zu sagen: „Er hat ja gar nichts an!“ Ebenso ist es bei Heiner Geißlers Äußerungen. Es muss nur jemand sagen, dass sie nicht mehr sind als seine Privatmeinung.
Bei den Gesprächen wurde von allen Beteiligten und auch von Geißler selbst versäumt, seine Rolle zu klären. Er hat seine Erfahrungen mit Schlichtungen in Arbeitskämpfen auf die gemeinsame Erörterung von Stuttgart 21 übertragen. Aber: Bei der Schlichtung im Arbeitskampf geht es um einen Interessenausgleich zwischen den Tarifparteien. Der Schlichter erarbeitet einen als „Schlichterspruch“ bezeichneten Vorschlag, den die Parteien annehmen, ablehnen oder als Basis für weitere eigene Verhandlungen benutzen können. Er ist für niemanden verbindlich. Wird er nicht angenommen, ist die Schlichtung gescheitert, die Friedenspflicht endet, der Arbeitskampf kann weitergehen.
Solch eine Schlichtung waren die von Geißler moderierten Gespräche gerade nicht. Die Verhandlungsdelegationen der Projektgegner sprachen nicht für Interessengruppen in einem Verteilungskampf, sondern für die von ihnen vertretenen Belange des Gemeinwohls. Geißlers Empfehlungen sollten auch keinem Interessenausgleich dienen, sondern den Protest abfedern.
Im Laufe der Zeit muss Geißler selbst zu der Einsicht gekommen sein, dass es mit der Autorität seines Spruchs wohl doch nicht so weit her ist; denn im Interview mit der Stuttgarter Zeitung am 17. Juni war plötzlich nicht mehr vom „Schlichterspruch“ die Rede, sondern von einer Vereinbarung: „Hier sind die Beteiligten, also die Projektträger, eine rechtliche Verpflichtung eingegangen. … Insofern halte ich die Ergebnisse auch für rechtlich verbindlich. Das war eine vertragliche Festlegung.“
Wann, von wem und in welcher Form diese angeblichen Verpflichtungserklärungen abgegeben worden sein sollen, ist nicht erkennbar, es wird von Geißler auch nicht mitgeteilt.
Es wird nur so getan, als ob aus dem Ergebnis der von Geißler moderierten Gespräche Verpflichtungen für die Beteiligten resultierten.
3. Empfehlungen als Mogelpackung
Schon sprachlich ist klar, dass es sich nicht um eine Vereinbarung, sondern tatsächlich nur um Empfehlungen handelt. Im Text heißt es: „Ich kann den Bau des Tiefbahnhofs nur befürworten, wenn …“; „… halte ich … folgende Verbesserungen für unabdingbar …“. Abschließend bezeichnet Geißler seine Empfehlungen ausdrücklich als „Vorschläge“: „Diese von mir vorgetragenen Vorschläge in den Ziffern 11 und 12 werden von beiden Seiten für notwendig gehalten.“
Von einer Vereinbarung ist nirgends die Rede.
Nachdem die Bahn allerdings immer wieder vorgibt, sich an die Empfehlungen halten zu wollen, lohnt sich ein Blick in deren Wortlaut:
Die größte Aufmerksamkeit genießt derzeit Geißlers Forderung nach einem sogenannten „Stresstest“:
12. Die Deutsche Bahn AG verpflichtet sich, einen Stresstest für den geplanten Bahnknoten Stuttgart 21 anhand einer Simulation durchzuführen. Sie muss dabei den Nachweis führen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist. Dabei müssen anerkannte Standards des Bahnverkehrs für Zugfolgen, Haltezeiten und Fahrzeiten zur Anwendung kommen. Auch für den Fall einer Sperrung des S-Bahn-Tunnels oder des Fildertunnels muss ein funktionierendes Notfallkonzept vorgelegt werden. Die Projektträger verpflichten sich, alle Ergänzungen der Infrastruktur, die sich aus den Ergebnissen der Simulation als notwendig erweisen, bis zur Inbetriebnahme von S 21 herzustellen. Welche der von mir vorgeschlagenen Baumaßnahmen zur Verbesserung der Strecken bis zur Inbetriebnahme von S 21 realisiert werden, hängt von den Ergebnissen der Simulation ab.
Geißlers Empfehlungen, die „von beiden Seiten für notwendig gehalten“ werden (Zif. 12 letzter Satz), umfassen weitere Punkte, die zu Unrecht in der öffentlichen Wahrnehmung neben dem Stresstest in den Hintergrund getreten sind:
11.3. Die Gäubahn bleibt … erhalten und wird leistungsfähig … angebunden.
11.4. Im Bahnhof selber wird die Verkehrssicherheit entscheidend verbessert. Im Interesse von Behinderten, Familien mit Kindern, älteren und kranken Menschen müssen die Durchgänge gemessen an der bisherigen Planfeststellung verbreitert [werden], die Fluchtwege sind barrierefrei zu machen.
11.5. Die bisher vorgesehenen Maßnahmen im Bahnhof und in den Tunnels zum Brandschutz und zur Entrauchung müssen verbessert werden. Die Vorschläge der Stuttgarter Feuerwehr werden berücksichtigt.
11.6. Für das Streckennetz sind folgende Verbesserungen vorzusehen:
- Erweiterung des Tiefbahnhofs um ein 9. und 10. Gleis
- Zweigleisige westliche Anbindung des Flughafen-Fernbahnhofs an die Neubaustrecke
- Anbindung der bestehenden Ferngleise von Zuffenhausen an den neuen Tunnel von Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof
- Ausrüstung aller Strecken von S 21 bis Wendlingen zusätzlich mit konventioneller Leit- und Sicherungstechnik.
Heiner Geißler kam bei der Schlichtung zu dem Ergebnis, Stuttgart 21 werde realisiert, allerdings als „Stuttgart 21 plus“ mit den genannten Verbesserungen. Die Möglichkeit, dass die Bahn sich um ihre vermeintliche vertragliche Festlegung nicht scheren werde, hat er vielleicht – so mag man zu seinen Gunsten annehmen – gar nicht in Betracht gezogen.
Erst wenn die Planungen einschließlich Kostenkalkulation diesen Erfordernissen angepasst sind, erst wenn die eventuell erforderlichen Genehmigungen beantragt und auch erteilt sind, lässt sich feststellen, ob die genannten Verbesserungen im Rahmen der bestehenden Planungen überhaupt möglich und wie hoch die damit verbundenen Kostensteigerungen sind. Das aber ist Voraussetzung für eine rationale Beantwortung der Frage, ob das Projekt sinnvoll und wirtschaftlich vertretbar fortgesetzt werden kann. Bisher hat die Bahn nicht einmal mitgeteilt, welche Schritte bezüglich der weiteren Verbesserungen sie überhaupt eingeleitet hat.
Die Bahn wird ihre vom Schlichter beschworene Verpflichtung also keineswegs bereits damit erfüllt haben, dass sie der Öffentlichkeit eine Vorführung präsentiert hat, die sie „Stresstest“ nennt.
Von derartigen Erklärungen und Forderungen Heiner Geißlers ist aber nichts zu vernehmen. Mit der vertraglichen Verpflichtung scheint es wohl doch nicht weit her zu sein.
4. Hokus Pokus Fidibus
Es wird nur so getan, als ob durch einen Stresstest objektive Informationen über den Wert von Stuttgart 21 gewonnen werden könnten.
Ein „Test“ ist ein Verfahren, um intersubjektiv überprüfbare Aussagen über Eigenschaften eines Untersuchungsobjekts zu gewinnen. Das kann die Kenntnisse von Schülern in einem bestimmten Schulfach ebenso betreffen wie physikalische Eigenschaften von Materialien oder eben auch die Leistungsfähigkeit eines Bahnhofs. Methodische Voraussetzung für jede derartige Messung ist,
- zunächst die Eigenschaften zu klären, über welche eine Aussage getroffen werden soll,
- weiterhin ein Katalog der beobachtbaren Kriterien, aus deren Vorliegen Schlüsse auf das Vorliegen der Eigenschaften gezogen werden können,
- und schließlich eine intersubjektiv überprüfbare Methode der Messung mit vorher festgelegten Maßeinheiten.
Die intersubjektive Überprüfbarkeit ist Voraussetzung dafür, dass die Ergebnisse diskutiert und gegebenenfalls auch von jemandem akzeptiert werden können, dessen bisherige Meinung durch sie widerlegt wird.
Bisher hatte es nicht den Anschein, dass ein methodisch sauberer und konsensfähiger Test geplant sei. Die Bahn beabsichtigt wohl eher, eine eindrucksvolle Vorführung der Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs zu machen und danach alle Debatten zu beenden. Ob Geißler an eine bloße Vorführung oder an einen echten Test gedacht hat, ist seinen bisherigen Äußerungen kaum klar zu entnehmen. Vermutlich hat er sich zunächst gar keine methodischen Gedanken gemacht.
Für den gesunden Menschenverstand ist es nicht einsehbar, dass auf 8 Gleisen mehr Leistung und Qualität möglich sein sollen als auf 16 Gleisen, seit die Züge an beiden Enden Triebköpfe haben und das Wenden daher kaum zusätzlichen Zeitaufwand erfordert.
Wenn das nun gleichwohl bewiesen werden soll, dann drängt sich die Frage auf, ob dabei wohl auch alles mit rechten Dingen zugeht und es sich nicht um ein großes Hokuspokus handelt. Sie drängt sich besonders deshalb auf, weil die Bahn es sehr an Kooperation mit den Kritikern und an jeder Transparenz mangeln lässt.
Ein solches Verfahren erinnert sehr an die Zaubertricks, mit denen im Variété gelegentlich die Leute verblüfft werden.
So bin ich der Frage nachgegangen, was eigentlich die Präsentation des „Stresstests“ von der Vorführung eines Zauberkunststücks, einer Illusion unterscheidet. Das Ergebnis meiner Überlegungen ist: kaum etwas! Die Übereinstimmungen sind frappierend.
Ein Zaubertrick besteht in der Regel aus den folgenden Elementen:
Ankündigen, was geleistet werden soll, oder auch: Überraschender Trick.
Eine Frau soll zersägt werden. Oder:
Eine weiße Maus verschwindet in einem Zylinder, wird danach in einen Tennisball verwandelt und kommt anschließend aus dem Ärmel.
Bedingungen manipulieren.
Die Gerätschaften werden hergerichtet: Säge und Zylinder, aber auch Spiegel, doppelter Boden etc.
Vertrauen einfordern.
Die Zuschauer dürfen sich von einem Teil der Randbedingungen überzeugen, z.B. davon, dass der Zylinder leer ist.
Verbergen.
Es bedarf einiger Geschicklichkeit, damit Gerätschaften wie Spiegel oder doppelter Boden unbemerkt bleiben.
Ablenken.
Es gilt, die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf etwas Unwichtiges zu lenken, damit sie auf das Wichtige nicht achten.
Schnelligkeit.
Die Fingerfertigkeit des Illusionisten verhindert eine genaue Beobachtung.
Trick nicht offenbaren.
Für das Publikum gibt es keine Möglichkeit, die Bühne und die benutzten Vorrichtungen nachträglich zu untersuchen, um den Trick zu durchschauen
Diese Elemente sollten wir nun mit dem vergleichen, was uns als „Stresstest“ präsentiert werden soll (und es wird offenkundig, dass Geißler und die Bahn noch einiges bieten müssen, wenn das, was uns da vorgeführt wird, mehr sein soll als ein Hokuspokus!):
Ankündigen, was geleistet werden soll:
Angekündigt wird ein Leistungsvergleich: Der Tiefbahnhof soll 30 % mehr leisten als der Kopfbahnhof.
Bedingungen manipulieren.
Manipuliert wird der Vergleichsmaßstab: Nicht ein optimal funktionierender Kopfbahnhof, sondern die derzeitige faktische (reduzierte) Leistung wird als Grundlage für den Leistungsvergleich genommen.
Vertrauen einfordern:
Durch die Berufung auf die demokratische Legitimation, das vorausgegangene Verfahren und die bestehende Baugenehmigung soll die Kritik diskreditiert werden. Die implizite Maxime lautet: „Im Prinzip ist alles in Ordnung, sofern der Test nicht noch unvorhergesehene Probleme offenbart.“
Verbergen.
Zu den bestehenden Risiken und den voraussichtlichen Kosten des Projekts werden falsche Angaben gemacht und zum Programm des Tests Informationen verweigert.
Ablenken.
Die Gegner des Projekts werden beschimpft, die Projektbetreiber drohen mit finanziellen Forderungen.
Schnelligkeit.
Es wird keine ausreichende Zeit gegeben weder zur Analyse dessen, was überhaupt gemessen werden soll, noch zur Analyse der Vorgaben und der Messungen selbst; dafür werden finanzielle Forderungen für Verzögerungen angedroht.
Trick nicht offenbaren.
Das Programm des Testverfahrens wird nicht offengelegt.
Angesichts dieser vielen Übereinstimmungen stellt sich ernsthaft die Frage: Gibt es denn überhaupt keinen Unterschied zwischen diesem sogenannten Stresstest und einem Zauberkunststück?
Doch, einen Unterschied gibt es: Ich habe noch nie davon gehört, dass nach der Vorführung eines Zaubertricks ein Gutachter bestätigt hätte, die Frau sei tatsächlich zersägt worden.
Christoph Strecker, Stuttgart, ist AnStifter, Richter a D. und Mediator
Und nun noch die versprochenen Bilder des gestrigen Tages:
Im Rathaus - es war sehr sehr laut dort :)
Ingrids Bilder